Momentchen mal, schon wieder ein neuer Honda Civic Type R? Ja, ich weiß, erst passiert gefühlte Jahrzehnte gar nichts und dann kommen gleich zwei schnelle Civics in zwei Jahren. Woran das liegt? Die Entwicklung des Vorgängers war ein Riesenaufwand, die Unterschiede zu einem Brot-und-Butter-Civic monumental. Das dauert halt. Entsprechend kam er erst zum Ende des Modellzyklus. Die neue Civic-Generation gibt es erst seit ein paar Monaten, aber der neue Type R profitiert extrem von der Vorarbeit, die der alte Type R geleistet hat. Außerdem kommt dieser durch und durch flügelige Kerl erstmals offiziell in die USA. Und die Amis warten nicht gern. Aber eigentlich, bin ich mir sicher, ging es in Wahrheit nur um eins: VW hat Honda den Nordschleifen-Fronttriebler-Rekord geklaut. Deswegen musste ein neues Auto her. Hat ziemlich gut geklappt. Was Sie hier sehen, umrundete die berühmtesten 20,8 Kilometer in 7:43,8 Minuten. Knapp vier Sekunden schneller als der Golf GTI Clubsport S, ganze sieben Sekunden schneller als der Vorgänger.

Keine klassische Schönheit
Der Vorteil für alle Besitzer des alten Type R: Obwohl Sie mit Ihrem Spaceshuttle-trifft-Dorfdisco-Design womöglich das ein oder andere Mal belächelt wurden, haben Sie – zumindest meiner nichtigen Meinung nach – das weitaus schönere Auto. Der neue Type R ist, bei allem gebotenen Respekt, schon von der eher schwer verdaulichen Sorte. Man muss Honda zugute halten: Er ist das einzige Auto seiner Klasse, das wirklich Downforce erzeugt. Demgegenüber steht eine Optik, als wäre ein Rieger-Katalog explodiert. Gefühlt gibt es noch mehr Lufteinlässe, Luftauslässe, Schwerter und Flicks als vorher. Dazu kommen neue, etwas gewöhnungsbedürftige Wirbelgeneratoren am Ende des Dachs sowie seltsames ,Carbon" an Schürzen und Schwellern. Außerdem hat man es tatsächlich geschafft, einen noch größeren Wing zu installieren (nichts gegen den Wing übrigens, er ist verdammt cool). All das hat laut Honda aerodynamische Bewandtnis und wird deshalb verzeihend in meinem ,Japanisch, geeky, wenigstens nicht langweilig"-Ordner abgespeichert. Auch die drei (!) mittigen Auspufftröten fallen in diese Kategorie. Was das Heck aussehen lässt, als wäre ein Ferrari 458 in ein staunendes Pokemon geknallt, soll tatsächlich dem Sound helfen. Dazu später mehr.

Bessere Sitzposition
Aber natürlich bieten die neue Hülle und alles, was damit zusammenhängt, auch Vorteile. Jede Menge sogar. Die neue Karosse ist 25 Millimeter flacher, 16 Kilo leichter und ganze 38 Prozent steifer als bisher. Außerdem konnte die Gewichtsverteilung ein wenig hecklastiger ausfallen. Und weil der neue Civic seinen Tank endlich dort hat, wo er hingehört (hinten), sitzt man jetzt auch nicht mehr wie in einem Jägerstand. Das signalrote Schalengestühl lümmelt ganze fünf Zentimeter weiter unten. Sprich: Neben den Sitzen ist nun auch die Sitzposition anbetungswürdig. Das Cockpit selbst wirkt deutlich seriöser und aufgeräumter. Das Infotainment funktioniert simpel und gut, es gibt Tonnen an roten Streifen/Nähten, ein wenig Alcantara an den richtigen Stellen und den glorreichen Type-R-Schaltknauf auf einem sehr sehr kurzen Stock. Weil dies ein japanischer Sportwagen ist, kriegen Sie zudem eine unüberschaubare Flut an Telemetrie aufs digitale Instrumentendisplay geknallt. Der R misst einfach alles, vermutlich auch Ihren Cholesterin-Wert. Und er hat das komplette Honda-Sense-Assistenzsystemepaket serienmäßig, hält Abstand, Spur und so weiter. Ich weiß, nur darauf haben Sie beim neuen Type R gewartet ...

Motor eigentlich wie vorher
Also reden wir endlich über Performance. Der neue Zweiliter-VTEC-Turbo ist im Prinzip der alte Zweiliter-VTEC-Turbo. Ein bisschen Gefummel an Elektronik und Abgasgegendruck erhöht die Leistung um zehn auf 320 PS bei 6.500 Touren. Das Drehmoment bleibt bei 400 Newtonmeter. Ein neues Einmassenschwungrad soll laut Honda das Ansprechverhalten verbessern. Der Effekt? Sagen wir mal so: Man müsste Alt und Neu schon direkt hintereinander fahren, um einen Unterschied zu bemerken. Selbst dann wäre er eher klein. Das Aggregat fühlt sich nicht viel anders an als vorher. Für mich ist das eine gute Sache. Hier wütet ein Motor, der sich zu jeder Zeit nach Aufladung anfühlt. Haust du auf den Pin, kommt erst kurz nix und dann sehr viel. Lenkrad also ein bisschen besser festhalten und sich über einen wahrlich bemerkenswerten Durchzug freuen. Obwohl die 0-100 km/h wie bisher 5,7 Sekunden dauern (danke, Frontantrieb): Das hier fühlt sich auf der Autobahn nicht langsamer an als Focus RS und Co. Die Höchstgeschwindigkeit? Sehr passable 272 km/h. Das wirklich Schöne an der Type-R-Maschine ist aber: Sie hat ein recht inniges Verhältnis zur Drehzahl. Trotz Aufladung mag sie ihren roten Bereich ziemlich gern, dreht rabiat und konsequent bis 7.000 Touren. Selbst die alte ,VTEC-kicked-in-yo"-Fraktion, die alles unter 9.000 Touren als LKW-Diesel beschimpft, sollte sich mit diesem charismatischen Motor anfreunden können.

Herrliche Schaltung, keinerlei Klang
Was mir beim Type R ebenfalls ziemlich in die Karten spielt: Ich muss nichts zum Getriebe sagen. Ach stimmt, die Übersetzung ist jetzt sieben Prozent kürzer. Plus: Honda hat eine automatische Zwischengasfunktion eingebaut. Für Menschen wie mich, die mal wieder den letzten Heel&Toe-Kurs geschwänzt haben, eine sehr feine, heckstabilisierende und effektive Sache. Für alle Fuß-Artisten: Es lässt sich auch ausschalten. Ansonsten bleibt die Sechsgang-Box das beste Schaltgetriebe, dass es gibt. Punkt. Leider deutlich weniger glorreich (immer noch): Der Sound. Laut Honda sollen die beiden XXL-Endrohre außen für mehr Volumen im unteren und mittleren Bereich sorgen, während ein erzeugter Unterdruck im kleinen mittleren Röhrchen das Dröhnen bei hoher Last mindert. In der Praxis hört man vor allem: nichts. Der Vorgänger machte irgendwie Lärm, wenn auch keinen besonders schönen. Der neue Type R klingt einfach fürchterlich fad. Von vorne bis hinten. Immerhin: Die Tuner wird es freuen. Ich wette, J.P. Kraemer arbeitet bereits fieberhaft an einer Lösung.

Neue Hinterachse hilft dem Komfort
Gott sei Dank braucht man für schnelle Rundenzeiten keinen Bass. Den neuen Type R unterm Hintern zu haben, hilft dagegen ungemein. Er war ja vorher schon fürchterlich schnell, wenn auch etwas stachelig, etwas rabbiat und zuweilen schmerzhaft hart. Vor allem im berüchtigen +R-Modus. Damit ist jetzt Schluß. Darf ich vorstellen: Tadaa, die neue Mehrlenker-Hinterachse, im Type R erweitert um deutlich stärkere Querlenker. Sie ersetzt die vorsintflutliche Verbundlenkerachse, ermöglicht 65 Millimeter mehr Spurbreite und macht das ganze Auto einen gehörigen Batzen steifer. Steifer bedeutet: Mehr Spielraum für die Abstimmung der Federn und der adaptiven Dämpfer. Die neue Freiheit nutzten die Ingenieure mit gleich drei Fahrmodi, die sich ganz im Gegensatz zu vielen anderen Fahrmodi tatsächlich ziemlich stark voneinander unterscheiden. Das größte Ereignis ist dabei vermutlich der neue Comfort-Modus, der diesen vogelwilden Familien-Tourenwagen auch im Alltag, auch auf serienmäßigen 20-Zöllern (!) und auch auf ziemlich grauenvollen Straßen fast schon butterweich samtpfotieren lässt. Ohne, dass er ihm seinen Fokus, seinen Hunger raubt, wohlgemerkt.

Gierige Vorderachse
Auf der Straße wirkt er genauso gierig wie vorher, rammt seine Vorderachse mit der superschnellen, ungewöhnlich schweren, aber sehr intensiven Lenkung in die Kurve, als stünde in jedem Scheitel ein paarungswilliges Kompaktsport-Weibchen mit Vorliebe für extravagantes Geflügel. Man ist grundsätzlich sauschnell unterwegs, frisst Landstraßen dank der weicheren Federung mühelos. Das Ganze sehr neutral, ohne Untersteuern, aber auch ohne, dass das Heck ständig nach außen drängen würde. Trotzdem irgendwie aufregender und weniger steril als beispielsweise in einem Leon Cupra oder Golf GTI. Den Sport-Modus kann man sich hier übrigens auch noch gefahrenlos antun. Die Dinge verhärten sich zwar merklich, es wird straffer, fleischiger, das Zwischengas knallt heftiger, aber alles noch ohne Gefahr für Gelenke, Füllungen und Co.

Auf der Strecke verlässlicher
,+R" treibt wie immer alles auf die Spitze. Alles wird giftiger, das ESP ein bisschen entspannter und der Civic wird hart wie ein Skateboard. Kann man auf der Straße machen. Man kann es aber auch sehr gut bleiben lassen. Deshalb: Schnipp – Lausitzring! Wo normalerweise die DTM fährt, versuchen heute ein paar Journalisten ein paar Type Rs ans Limit zu bringen. Das Auto macht es ihnen wirklich nicht sonderlich schwer. Durch die breitere, hochwertigere Hinterachse wirkt der neue Type R ruhiger, satter, erwachsener irgendwie. Er fährt nicht mehr ganz so spitz, weniger nervös. Man kann die Linie per Gaslupfer oder Bremstipper schon schärfen, aber um das Heck zum Ausbrechen zu bringen, müsste man wahrhaft idiotische Dinge anstellen. Der Civic bleibt ruhig, entspannt, lässt sich von seinem mechanischen Sperrdiff seriös und relativ verlustfrei aus der Kurve befördern. Schiebt er mal zu stark nach außen, liegt es vermutlich an einem selbst. All das ist in erster Linie eins: sehr schnell. Dazu passt die monumentale Brembo-Bremse mit ihrem relativ aggressiven Druckpunkt. Selbst nach gut 30 Runden stand sie noch wie eine Eins.

Der beste Fronttriebler
Das beweist: Der neue Type R ist ein fantastisches Rennstreckenauto. Das war der Vorgänger auch. Der Unterschied ist: Der Neue ist im Alltag deutlich weniger kompromissbehaftet. Die Sitze etwas luftiger (trotzdem fesselnd wie ein WM-Finale), die Spreitzung im Fahrwerk deutlich breiter und all das mit vier vollwertigen Sitzplätzen und fast 500 Liter Kofferraum. Zusammen mit dem wunderbaren Golf GTI Clubsport S ist das hier der derzeit beste Fronttriebler. Allerdings hat der Golf keine Rückbank und ist ausverkauft. Der neue Mégane R.S. wird sich ziemlich strecken müssen. Wenn Sie mit der äußerst eigenwilligen Optik leben können, spricht wirklich wenig gegen Hondas neues Über-Hot-Hatch. Auch nicht der Preis. Der Civic Type R startet bei 36.050 Euro. Mit GT-Paket (unter anderem Navi, Einparkhilfe, Zwei-Zonen-Klima) sind es 38.950 Euro. Zum Vergleich: Der Ford Focus RS kostet wie der VW Golf R mindestens 40.675 Euro, der Seat Leon Cupra beginnt bei 34.580 Euro. Marktstart ist im September 2017.

Wertung

  • ★★★★★★★★★★
  • Zur Schönheitskönigin wird es beim neuen Honda Civic Type R eher nicht reichen. Wohl aber zum derzeit besten Kompaktsportler mit Frontantrieb. Auf der Rennstrecke ist er eine Bank, jetzt meistert er aber auch den Alltag deutlich besser. Ein extrem schnelles, fähiges und wandlungsfähiges Biest mit erstaunlichen Manieren. Geschliffen aber nicht langweilig. Und das zu einem sehr akzeptablen Preis.

    + durchschlagskräftiger und drehfreudiger Turbomotor; extreme Fahrdynamik; Sehr große Spreizung zwischen Komfort und Sportlichkeit; fairer Preis

    - gewöhnungsbedürftige Optik; Innenraum-Materialien nur Durchschnitt

  • Antrieb
    95%
  • Fahrwerk
    95%
  • Karosserie
    90%
  • Kosten
    90%

Datenblatt

Motor und Antrieb
Motorart Reihenmotor, Turbo 
Zylinder
Ventile
Hubraum in ccm 1.996 
Leistung in PS 320 
Leistung in kW 235 
bei U/min 2.500 
Drehmoment in Nm 400 
Antrieb Vorderradantrieb 
Gänge
Getriebe manuell 
Fahrwerk
Spurweite vorn in mm 1.599 
Spurweite hinten in mm 1.593 
Radaufhängung vorn McPherson-Federbeinachse 
Radaufhängung hinten Mehrlenkerachse 
Bremsen vorn Scheiben, innenbelüftet, 350 mm 
Bremsen hinten Scheiben, 305 mm 
Wendekreis in m 11,8 
Räder, Reifen vorn 245/30 R20 
Räder, Reifen hinten 245/30 R20 
Lenkung elektromechanische Servolenkung 
Maße und Gewichte
Länge in mm 4.557 
Breite in mm 1.877 
Höhe in mm 1.434 
Radstand in mm 2.699 
Leergewicht in kg 1.455 
Zuladung in kg 380 
Kofferraumvolumen in Liter 492 
Kofferraumvolumen, variabel in Liter 1.209 
Tankinhalt in Liter 46 
Fahrleistungen / Verbrauch
Höchstgeschwindigkeit in km/h 272 
Beschleunigung 0-100 km/h in Sekunden 5,7 
EG-Gesamtverbrauch in Liter/100 km 7,7 
EG-Verbrauch innerorts in Liter/100 km 9,8 
EG-Verbrauch außerorts in Liter/100 km 6,5 
Testverbrauch Gesamt in Liter/100 km 9,1 
CO2-Emission in g/km 176 
Schadstoffklasse Euro 6 


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